Dienstag, 22. Dezember 2009

Computerzüge, die einem entgehen

Es gibt nicht wenige, die behaupten, dass die Arbeit mit einem Schachcomputer das eigene Spiel beeinflusst. Wie genau dieser Einfluss aussieht, ist noch unbestimmt. Man spricht sehr oft von "konkretem" Schach, im Gegensatz zu einer schablonenhaften Anwendung von Erlerntem. Für einen Schachcomputer ist jede Stellung "neu", der Rechenprozess beginnt bei Null. Auf Spieler, die sehr häufig mit dem Computer trainieren, dürfte diese Arbeitsweise zumindest teilweise abfärben, so dass sie auch in ihren Partien (unbewusst) nach dieser Technik verfahren. Ich will das in diesem Beitrag nicht vertiefen, sondern lediglich eine Beobachtung mitteilen, die ich in meinem letzten Mannschaftskampf machte. Sie betrifft Spieler, die (wie ich) noch nicht konkret genug spielen.
Im slawischen Abtauschsystem mit gegenseitigem Königsfianchetto kam es zur Diagrammposition, in der ich als Schwarzer am Zug war.



Mein Plan lag hier auf der Hand. Der rückständige weiße Bauer auf c3 sollte das (vorübergehende) Ziel des Angriffs sein. Dazu waren mehrere Etappen notwendig. Im ersten Teil des Plans, der in der Stellung bereits erfolgt war, spielte ich den Läufer von f5 nach e4, um ihn gegen den weißen Fianchettoläufer abzutauschen. Dies ist möglich, sobald der Springer von f3 wegzieht. Im zweiten Teil, der jetzt folgen sollte, war die Überführung des Springers via a5 nach c4 vorgesehen. Der Springer sollte dann gegen den weißen Springer abgetauscht werden. In dem dann entstehenden Schwerfigurenendspiel wird das Feld c4 besetzt, um den Druck auf die rückständigen weißen Bauern c3 und a2 zu maximieren. Hier sollte Schwarz gute Gewinnchancen haben.

Soviel zur Theorie, jetzt die Praxis. Wie gesagt plante ich in der Diagrammstellung Sc6-a5-c4. Dies schien mir jedoch im Moment nicht ausführbar zu sein, da Weiß die taktische Möglichkeit Sg5 zur Verfügung hat, wonach der Bauer h7 bedroht und der Läufer auf e4 ungenügend gedeckt ist. Leicht verärgert, aber ohne groß nachzudenken, zog ich hier 1.- h6, um Sg5 zu verhindern. Als ich die Partie am Abend zuhause mit dem Computer analysierte, war ich überrascht, dass er 1.- Sa5 als besten Zug auswarf. Ich konnte es zunächst nicht glauben, da ich mir sicher war, dass 2.Sg5 Weiß in Vorteil bringen musste. Oder hatte ich etwas übersehen?

Nach kurzem Nachdenken erkannte ich dann, was der Computer meinte. Er sah den Einschlag Dxh7+ nicht als Bedrohung an. Das war mir während der Partie vollkommen entgangen, da ich rein schablonenhaft und aus der Erfahrung urteilend einen Einschlag auf h7 als nicht hinnehmbar angesehen hatte. Rechnet man die Variante jedoch konkret durch, kann Weiß gar nicht 2.Sg5 spielen, da er nach 2.- Lxg2 3.Dxh7+ Kf6 4.Kxg2 Kxg5 eine Figur weniger hat. Zwar steht der schwarze König nach 5.Dh4+ Kf5 nicht sonderlich attraktiv, aber er kann sich doch mühelos nach d8 zurückziehen. Diese Position entstand nie vor meinem geistigen Auge, da ich die Variante nicht gerechnet hatte.

Dieses Beispiel soll verdeutlichen, dass wir uns manchmal Möglichkeiten entgehen lassen, weil wir uns (unbewusst) weigern, bestimmte Varianten konkret durchzurechnen. Auf der anderen Seite hat das schablonenhafte Denken natürlich auch große Vorteile, da man Positionen schnell erfassen kann und damit auch Bedenkzeit spart.

P.S. Die Partie endete remis. Zwar kam es zum prognostizierten Schwerfigurenendspiel, jedoch fehlte mir ein Tempo, um Druck aufbauen zu können. Ich vermute, das verlorene Tempo war 1.- h6.

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