Mittwoch, 6. Mai 2009

Zugwiederholung als Ästhetik

Die nachfolgende Diagrammstellung ist äußerst bekannt, um nicht zu sagen berühmt. Sie stammt aus der Partie Awerbach-Kotov (Zürich 1953). Schwarz spielte hier 30.- Dxh3+!






Viele Kommentatoren betrachten sie als eine der besten Kombinationen überhaupt. Ich kann mich dem leider nicht ganz anschließen, denn in der Tat handelt es sich lediglich um eine vierzügige Kombination, also 30.- Dxh3+ 31.Kxh3 Th6+ 32.Kg4 Sf6+ 33.Kf5 (33.Kg5? Th5#) Sd7 (33.- Sg4! [1]) 34.Tg5 Tf8+ (Diagramm 2).



Nun ist es offensichtlich so, dass Schwarz Dauerschach hat: 35.Kg4 Sf6+ 36.Kf5 Sg8+ usw. (die Stellung ist nebenbei gewonnen für Schwarz, was aber hier nicht das Thema ist).


Schwarz musste also nur bis hierher rechnen! Die nun folgenden Dauerschachs bis zur Zeitkontrolle werden von vielen Kommentatoren kritisiert, ich allerdings denke, dass sie aus Sicht des praktischen Turnierschachs eine eigene Ästhetik entwickeln. Allein schon deshalb, weil ein Dauerschach normalerweise nur zwei Züge lang gespielt werden kann, bevor ein Remis durch Zugwiederholung erfolgt. Hier ist das anders:

35.Kg4 Sf6+ (das ist die relevante Position)

36.Kf5 Sg8+

37.Kg4 Sf6+ (zweite Wiederholung)

38.Kf5 Sxd5+! (Ich bin wohl der einzige, der diesem Zug ein Ausrufezeichen gibt; andere kritisieren ihn, weil er den späteren Gewinn erschwert: "Wegen Kotovs Zugwiederholungsvermeidung im 38. Zug überlebt Awerbach einige Züge länger, als er sollte" [2])

39.Kg4 Sf6+ (nicht mehr die gleiche Stellung, weil der Bauer d5 fehlt)

40.Kf5 Sg8+

Die Zeitkontrolle ist geschafft. In der Folge spielte Schwarz keine Schachs mehr, sondern Lxg5 und gewann im 51. Zug.

Interessanterweise wird behauptet, Kotov hätte die Gewinnvariante nicht berechnen können, da ihm die Zeit fehlte [1], ich würde behaupten, die einzige Variante, die er berechnen wollte, war diese sechszügige Zugwiederholung, und das ist ihm meisterhaft gelungen.

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[1] Bronstein, David: "International Chess Tournament Zurich 1953", S. 160f.

[2] Levitt, Jonathan/Friedgood, David: "Secrets of Spectacular Chess", S. 61.

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